3. Informationsermittlung und Gefährdungsbeurteilung

3.1 Verantwortung und Organisation

(1) Vor Beginn der Tätigkeiten mit Biostoffen hat der Arbeitgeber gemäß § 4 BioStoffV eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und das Ergebnis gemäß § 7 BioStoffV zu dokumentieren [1]. Ziel dieser Gefährdungsbeurteilung ist es zu ermitteln, welche Maßnahmen getroffen werden müssen, um die festgestellten möglichen Gefährdungen der Beschäftigten zu verhindern. Die Verantwortung für die korrekte Durchführung der Gefährdungsbeurteilung liegt beim Arbeitgeber.

(2) Der Arbeitgeber kann für seine Gefährdungsbeurteilung die Vorgaben dieser TRBA verwenden, soweit die hier beschriebenen Tätigkeiten und Expositionsbedingungen sich auf die konkret zu beurteilende Situation übertragen lassen. Bei fehlender oder unzutreffender Übertragbarkeit sind die entsprechenden Tätigkeiten und die damit verbundenen Gefährdungen entsprechend der TRBA 400 "Handlungsanleitung zur Gefährdungsbeurteilung und für die Unterrichtung der Beschäftigten bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen" zu beurteilen [13].

(3) Wenn Tätigkeiten von Fremdfirmen ausgeführt werden, sind die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung durch den Auftraggeber an die Fremdfirma weiterzugeben. Sofern erforderlich ist die Gefährdungsbeurteilung gemeinsam durchzuführen und insbesondere die Durchführung von Schutzmaßnahmen abzustimmen. Der Arbeitgeber muss sich für jede Art der Tätigkeit vergewissern, dass auch die Beschäftigten anderer Arbeitgeber hinsichtlich der Gefahren für ihre Sicherheit und Gesundheit angemessene Anweisungen in der für sie verständlichen Sprache zur Verfügung haben. Die Einhaltung der Schutzmaßnahmen ist zu kontrollieren.

(4) Die in der Gefährdungsbeurteilung festgelegten Maßnahmen dienen auch dem Schutz anderer Personen, soweit sie aufgrund der Verwendung von Biostoffen gefährdet werden können.

Hinweis: Darüber hinaus sind auch andere, durch die Tätigkeit verursachte Gefährdungen zu berücksichtigen und entsprechende Maßnahmen festzulegen, z. B. nach dem Infektionsschutz- (IfSG) oder Tiergesundheitsgesetz (TierGesG), Pflanzengesundheitsgesetz (PflGesG) oder Gentechnikgesetz (GenTG) [14-17].

Die jeweils notwendigen Maßnahmen aus anderen Gesetzen bleiben unberührt und müssen aufeinander abgestimmt werden.

3.2 Formale Anforderungen

(1) Die Gefährdungsbeurteilung ist mindestens jedes zweite Jahr nach § 4 Absatz 2 BioStoffV zu überprüfen und bei Bedarf zu aktualisieren. Ergibt die Überprüfung, dass eine Aktualisierung nicht erforderlich ist, so hat der Arbeitgeber dies unter Angabe des Datums der Überprüfung in der Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung nach § 7 BioStoffV zu vermerken [1]. Eine Aktualisierung ist weiterhin immer dann durchzuführen, wenn Veränderungen, die die Sicherheit der Beschäftigten beeinträchtigen können, oder neue Informationen über Gefährdungen dies erfordern. Hierzu gehören z. B.:

  1. Erkenntnisse, dass die festgelegten Schutzmaßnahmen nicht wirksam sind,
  2. der geplante Einsatz neuer Arbeitsgeräte, Arbeitsverfahren oder Arbeitsabläufe,
  3. Erkenntnisse aus Unfällen, aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge oder aus aufgetretenen Erkrankungen bei den Beschäftigten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der verrichteten Tätigkeit stehen,
  4. neue gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse oder Bekanntmachungen des Ausschusses für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS).

(2) Reparatur-, Wartungs-, Reinigungs- und Instandhaltungsarbeiten sowie Prüftätigkeiten (z. B. für Druckgeräte, Zentrifugen) sind ebenfalls Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung.

(3) Die Gefährdungsbeurteilung ist fachkundig durchzuführen, arbeitsmedizinische Aspekte sind einzubeziehen. Erläuterungen hinsichtlich der zu erfüllenden Anforderungen hinsichtlich der Fachkunde siehe TRBA 200 "Anforderungen an die Fachkunde nach Biostoffverordnung" [18].

(4) Arbeitsmedizinischer Sachverstand ist insbesondere hinzuzuziehen bei

  1. Tätigkeiten mit Infektionsgefahren, bei denen eine arbeitsmedizinische Pflicht- oder Angebotsvorsorge zu veranlassen bzw. anzubieten ist oder bei
  2. Tätigkeiten, bei denen
    a) eine Exposition gegenüber sensibilisierenden oder toxisch wirkenden Biostoffen bestehen kann,
    b) Hygienemaßnahmen und/oder spezielle Desinfektionsmaßnahmen erforderlich sind,
    c) die Organisation spezieller Erste-Hilfe-Maßnahmen und einer postexpositionellen Prophylaxe notwendig ist,
    d) Persönliche Schutzausrüstungen (PSA) zu tragen sind (z. B. Schutzhandschuhe, Atemschutz) oder
    e) Belastungen der Haut auftreten können, die Maßnahmen zum Hautschutz erforderlich machen.

Vorrangig ist hierbei der/die mit der arbeitsmedizinischen Vorsorge beauftragte Arzt/Ärztin zu beteiligen, welche/r über die spezifischen Kenntnisse zu den Gefährdungen an den entsprechenden Arbeitsplätzen verfügt.

(5) Als Bestandteil der Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber ein Verzeichnis der verwendeten oder auftretenden Biostoffe zu erstellen (Biostoffverzeichnis), soweit diese bekannt sind. Das Verzeichnis muss Angaben zur Einstufung der Biostoffe in eine Risikogruppe nach § 3 BioStoffV und zu ihren sensibilisierenden und toxischen Wirkungen beinhalten [1].

Auf das Biostoffverzeichnis kann verzichtet werden, wenn ausschließlich Tätigkeiten mit Biostoffen der Risikogruppe 1 ohne sensibilisierende oder toxische Wirkungen durchgeführt werden.

(6) Bei Tätigkeiten der Schutzstufe 3, einschließlich Tätigkeiten mit Biostoffen der Risikogruppe 3 (**), sowie der Schutzstufe 4 hat der Arbeitgeber zusätzlich ein Verzeichnis über die Beschäftigten zu führen, die diese Tätigkeiten ausüben. In dem Verzeichnis sind die Art der Tätigkeiten und die vorkommenden Biostoffe sowie aufgetretene Unfälle und Betriebsstörungen anzugeben. Es ist personenbezogen für den Zeitraum von mindestens zehn Jahren nach Beendigung der Tätigkeit aufzubewahren. Der Arbeitgeber hat den Beschäftigten die sie betreffenden Angaben in dem Verzeichnis zugänglich zu machen; der Schutz der personenbezogenen Daten ist zu gewährleisten. Bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ist dem Beschäftigten ein Auszug über die ihn betreffenden Angaben des Verzeichnisses auszuhändigen; der Nachweis über die Aushändigung ist vom Arbeitgeber wie Personalunterlagen aufzubewahren. Das Verzeichnis über die Beschäftigten kann zusammen mit dem Biostoffverzeichnis geführt werden.

(7) Bei Tätigkeiten mit Material, welches TSE assoziierte Agenzien enthält oder enthalten kann, gilt gemäß der Empfehlung des ABAS zu "Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit Transmissibler Spongiformer Enzephalopathie (TSE) assoziierter Agenzien in TSE-Laboratorien" für Unfallanzeigen und Dokumentation medizinisch notwendiger Untersuchungen eine Aufbewahrungsfrist von 40 Jahren [19].

3.3 Gefährdungen

(1) Die möglichen Gefährdungen für Beschäftigte in biologischen Laboratorien hängen von der jeweiligen Aufgabenstellung, der damit verbundenen Art und Menge der verwendeten Untersuchungsmaterialien bzw. der eingesetzten Biostoffe sowie von den spezifischen Arbeitsverfahren und Tätigkeiten ab. Entsprechend sind sowohl biostoff- als auch tätigkeitsspezifische Informationen zu ermitteln.

(2) Im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung hat der Arbeitgeber gemäß § 4 Absatz 3 BioStoffV Informationen, insbesondere über die Identität der eingesetzten Biostoffe und die von ihnen ausgehenden Gesundheitsgefahren (infektiöse, sensibilisierende oder toxische Wirkungen) unter Berücksichtigung der spezifischen Tätigkeiten, zu beschaffen [1]. Informationen zum Infektionsrisiko geben die entsprechenden Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe TRBA 460-468 zur Einstufung von Biostoffen in eine Risikogruppen [6–10]. Ist ein Biostoff dort nicht aufgeführt, hat der Arbeitgeber eine Einstufung entsprechend dem Stand der Wissenschaft vorzunehmen und zu dokumentieren. Bei attenuierten Biostoffen kann von der Einstufung des Wildtyps abgewichen werden, wenn die Virulenzabschwächung ausreichend belegt und genetisch stabil ist. Dies setzt eine zuverlässige Identifizierung und eine genaue Kenntnis von Art und Umfang der Attenuierung voraus. Ist der Elternstamm in die Risikogruppe 3 oder 4 eingestuft, kann eine Herabstufung nur auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Bewertung erfolgen, die der ABAS vornehmen kann. Für nicht gelistete Biostoffe kann das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nach Beratung durch den ABAS eine Einstufung in eine Risikogruppe vornehmen. Die TRBA 450 beschreibt Kriterien für die Einstufung von Biostoffen in Risikogruppen [20].

(3) Die sensibilisierenden oder toxischen Wirkungen von Biostoffen müssen zusätzlich zum Infektionspotenzial ermittelt werden. Hinweise auf atemwegssensibilisierende und toxische Eigenschaften finden sich im Anhang III der Richtlinie 2000/54/EG, der TRBA/TRGS 406 "Sensibilisierende Stoffe für die Atemwege" und in den Technischen Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA) zur Einstufung [5, 21].

(4) Allgemeine Informationen zu Biostoffen und deren Gefährdungen finden sich in der Anlage 1 der TRBA 400 [13]. Spezifische Informationen zu Biostoffen geben unter anderem:

  1. das Robert Koch-Institut (RKI),
  2. das Friedrich-Loeffler-Institut (FLI),
  3. die GESTIS-Biostoffdatenbank und
  4. die Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit (ZKBS).

(5) Bei den tätigkeitsbezogenen Informationen sind Betriebsabläufe und Arbeitsverfahren so zu erfassen, dass die einzelnen Tätigkeiten überprüft werden können hinsichtlich:

  1. der Möglichkeit einer Freisetzung von Biostoffen und einer Exposition der Beschäftigten,
  2. der Art der Exposition und der damit verbundenen Übertragungs- und Aufnahmepfade sowie
  3. der Höhe, Dauer und Häufigkeit der Exposition, insbesondere bei Biostoffen mit sensibilisierenden oder toxischen Wirkungen.

(6) Die Aufnahme von Biostoffen bei Labortätigkeiten kann in Abhängigkeit von der Tätigkeit über folgende Wege erfolgen:

  1. aerogen – über die Luft (Inhalation)
  2. oral – über den Mund (Ingestion)
  3. perkutan/parenteral – durch verletzte Haut (z. B. rissige Haut, Mikroverletzungen, Stiche, Schnitte) oder über die Schleimhaut (Kontaktinfektion)

(7) Tätigkeiten mit erhöhter Expositionsgefährdung umfassen z. B.:

  1. Öffnen von Probengefäßen,
  2. Arbeiten an offenen Kulturen,
  3. Pipettieren,
  4. Zentrifugieren,
  5. Aufschließen von Zellen,
  6. Entleeren von Gefäßen,
  7. Schneiden von Proben (z. B. von Geweben),
  8. Wartungs- und Reparaturarbeiten von Geräten (z. B. Filterwechsel) sowie
  9. Aufrechterhalten der Funktionalität von automatisierten Verfahren (z. B. Entsorgung von kontaminierten Waschpuffern, Austausch kontaminierter Kanülen).

Besondere Gefährdungen können durch akzidentelle Kontaminationen, z. B. durch Verschütten, Bruch, Leckagen, Verletzungen an spitzen, scharfen Instrumenten (z. B. Spritzen, Kanülen) oder Fehlbedienungen entstehen.

(8) Sollten Tätigkeiten mit Endoparasiten vorgesehen sein, sind bei der Gefährdungsbeurteilung die Stadien im Lebenszyklus dieser Parasiten zu berücksichtigen, die für den Menschen möglicherweise infektionsfähig und tätigkeitsrelevant sind.

(9) Bei den tätigkeitsbezogenen Informationen sind auch Informationen über bekannte Erkrankungen und aus der arbeitsmedizinischen Vorsorge zu berücksichtigen.

(10) Weitere Aspekte, die Auswirkungen auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten haben können, sind in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen. Hierzu gehören z. B.

  1. die Arbeitsorganisation (z. B. Arbeitsfreigabe bei Wartungen),
  2. die Qualifikation der Ausführenden sowie
  3. psychische Belastungen, z. B. durch erhöhte Anforderungen der Schutzmaßnahmen (PSA), Angst vor Infektion, Zeitdruck, unzureichende Personalausstattung, ungünstige Arbeitszeit- und Pausengestaltung.

3.4 Ableiten von Schutzmaßnahmen

(1) Bei der Ableitung der Schutzmaßnahmen ist die folgende Rangfolge zu beachten:

  1. Substitution von Biostoffen oder Verfahren
  2. Bauliche und technische Schutzmaßnahmen
  3. Organisatorische Schutzmaßnahmen
  4. Personenbezogene Schutzmaßnahmen

(2) Die erforderlichen Schutzmaßnahmen, die für die jeweilige Wirkung (infektiös, sensibilisierend, toxisch) eines Biostoffes ausgewählt wurden, müssen im Rahmen der Gesamtbeurteilung aufeinander abgestimmt werden.

(3) Bei der Festlegung der Schutzmaßnahmen sind auch Maßnahmen aus anderen Rechtsgebieten zu beachten und müssen in das abgestimmte Maßnahmenkonzept integriert werden.

(4) Bei der Ableitung von Schutzmaßnahmen sind nicht nur die Gefährdungen der Beschäftigten durch Tätigkeiten mit Biostoffen, sondern auch dadurch verursachte Gefährdungen für andere Personen zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollten auch andere Gefährdungen, wie z. B. solche der Umwelt (z. B. nach Gentechnikrecht und Tierseuchenerregerverordnung) einbezogen werden. Die jeweils notwendigen Maßnahmen müssen aufeinander abgestimmt werden.

(5) Besitzen Biostoffe der Risikogruppe 1 sensibilisierende oder toxische Wirkungen, sind ggf. zusätzlich zu den allgemeinen Hygienemaßnahmen weitere, spezielle Schutzmaßnahmen festzulegen (siehe hierzu auch 3.7.).

3.5 Zuordnung zu Schutzstufen

3.5.1 Allgemeines

(1) Tätigkeiten im Anwendungsbereich dieser TRBA müssen einer Schutzstufe zugeordnet werden.

(2) Entscheidend für das Vorgehen bei der Festlegung der erforderlichen Schutzstufe ist die Zuordnung zu gezielten oder nicht gezielten Tätigkeiten (siehe auch § 5 Absatz 1 BioStoffV). Labortypische Arbeitsabläufe umfassen häufig beide Arten von Tätigkeiten.

(3) Gezielte Tätigkeiten sind unmittelbar auf einen bestimmten, der Spezies/Subspezies nach bekannten Biostoff ausgerichtet und die Exposition des Beschäftigten ist im bestimmungsgemäßen Betrieb hinreichend bekannt oder abschätzbar. Eine gezielte Tätigkeit ist z. B. die Vermehrung einer Bakterien-Spezies in Reinkultur oder die Vermehrung einer Virus-Spezies mit Hilfe von Zellkulturen.

(4) Nicht gezielte Tätigkeiten liegen vor, wenn eines der oben genannten Kriterien für gezielte Tätigkeiten nicht erfüllt ist. So sind die Untersuchungen von humanem Probenmaterial (z. B. Blut, Abstriche, Gewebsproben) sowie von Umweltproben im Rahmen der mikrobiologischen, der klinisch-chemischen oder einer sonstigen speziellen Diagnostik eine nicht gezielte Tätigkeit. Dies ist auch bei Tätigkeiten mit Probenmaterial der Fall, das von einem Spender mit eindeutigem Infektionsverdacht oder positivem Infektionsbefund stammt, sofern diese nicht auf den entsprechenden Biostoff ausgerichtet sind. Zytologische oder histologische Untersuchungen an nicht inaktiviertem Material stellen ebenfalls nicht gezielte Tätigkeiten dar.

3.5.2 Schutzstufenzuordnung bei gezielten Tätigkeiten

Bei gezielten Tätigkeiten korrespondiert die erforderliche Schutzstufe mit der Risikogruppe des verwendeten Biostoffes. Bei gezielten Tätigkeiten mit Biostoffen unterschiedlicher Risikogruppen ist die Einstufung des Biostoffes der höchsten Risikogruppe für die Zuordnung der Schutzstufe maßgebend.

3.5.3 Schutzstufenzuordnung bei nicht gezielten Tätigkeiten

(1) Bei nicht gezielten Tätigkeiten ist das Spektrum der zu erwartenden bzw. möglicherweise vorhandenen Biostoffe zu ermitteln. Bei der Abschätzung des möglichen Infektionsrisikos sind die Risikogruppen und die Eigenschaften der Biostoffe zu berücksichtigen. Auf der Grundlage der Einzelbewertungen ist eine tätigkeitsbezogene Gesamtbeurteilung durchzuführen. Dabei ist der Biostoff mit der höchsten Risikogruppe nicht unbedingt maßgebend für die Zuordnung zu einer Schutzstufe, sondern die ermittelte Gesamtgefährdung unter Beurteilung der Expositionssituation.

(2) Maßgeblich für die Beurteilung der Gesamtgefährdung können insbesondere sein:

  1. spezifische einstufungsrelevante Eigenschaften,
  2. die Infektionsdosis,
  3. stadienspezifische Infektionsrisiken,
  4. Auftretenswahrscheinlichkeiten (z. B. Inzidenz, Prävalenz),
  5. Konzentrationen und Kulturvolumina,
  6. Tätigkeiten mit Bioaerosolbildung,
  7. Art und Anteil manueller Arbeitsschritte,
  8. Tätigkeiten mit Verletzungsgefahr.

(3) Beispiele von Schutzstufenzuordnungen für nicht gezielte Tätigkeiten sind in Abschnitt 3.6 aufgeführt.

3.5.4 Abgrenzung von nicht gezielten und gezielten Tätigkeiten

(1) In verschiedenen Arbeitsbereichen, wie z. B. der medizinischen Diagnostik oder in der mikrobiologischen Forschung, kann es im Rahmen der Untersuchungen zu einem Übergang von nicht gezielten Tätigkeiten zu gezielten Tätigkeiten kommen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn der nach der Erstdiagnostik einer Probe bekannte Biostoff zur weiteren Charakterisierung gezielt vermehrt wird.

Dies kann u. a. stattfinden bei

  1. der weiteren Charakterisierung von Isolaten,
  2. der Subtypisierung oder
  3. der Bestimmung von Chemotherapeutika-Resistenzen.

Da es sich hier um gezielte Tätigkeiten handelt, richtet sich die Schutzstufe nach der Risikogruppe des betreffenden Biostoffes.

(2) Werden bei diagnostischen Nachweisverfahren definierte Kontrollstämme eingesetzt, so handelt es sich ebenso um gezielte Tätigkeiten.

(3) Zu den nicht gezielten Tätigkeiten zählen auch das Aufbewahren bzw. im Rahmen der Abfallentsorgung die Inaktivierung des Probenmaterials oder des isolierten Biostoffes nach erfolgter Identifizierung bzw. Diagnose, sofern keine weiteren gezielten Tätigkeiten folgen.

(4) Bei der Gefährdungsbeurteilung ist die geeignete Lagerung der Biostoffe zu betrachten. Die Lagerung von Referenzstämmen, (Virus-)Isolaten und angereicherten Kulturen soll in der Schutzstufe erfolgen, die der Risikogruppe des zu lagernden Biostoffes entspricht. Dies betrifft nicht Proben aus der medizinischen Diagnostik (vgl. Abschnitt 3.6.1).

3.6 Beispielhafte Schutzstufenzuordnung bei nicht gezielten Tätigkeiten

3.6.1 Medizinische/tiermedizinische Laboratorien

(1) Klinische Probenmaterialien (Körperflüssigkeiten, Gewebe, Zellkulturen etc.), deren Infektionsstatus nicht weiter charakterisiert ist, sind als potenziell infektiös anzusehen. Deswegen sind entsprechende Tätigkeiten im Allgemeinen unter den Bedingungen der Schutzstufe 2 nach Abschnitt 4.1 und 4.3 durchzuführen.

(2) Liegen Verdachtsmomente einer Infektion mit einem Biostoff der Risikogruppe 4 vor, sind alle orientierenden Untersuchungen (Erstdiagnostik) von Proben mit nicht inaktiviertem Material mindestens unter den Bedingungen der Schutzstufe 3 nach Abschnitt 4.4.2 durchzuführen. Liegen Untersuchungsproben von einem mit einem Biostoff der Risikogruppe 4 infizierten akut erkrankten Patienten vor, sind labordiagnostische Untersuchungen mit nicht inaktiviertem Material unter den Bedingungen der Schutzstufe 4 nach Abschnitt 4.5 durchzuführen.

(3) Liegen nach der Charakterisierung humanen Probenmaterials klinisch unauffälliger Spender keine Biostoffe der Risikogruppe 2 und höher vor, so sind die Bedingungen der Schutzstufe 1 nach Abschnitt 4.2 ausreichend. Dies ist z. B. der Fall, wenn die Probenmaterialien HIV-, HBV- und HCV-negativ sind. Es kann dann davon ausgegangen werden, dass eine Infektionsgefährdung durch andere Biostoffe (Krankheitserreger) zwar nicht auszuschließen aber unter Beachtung der allgemeinen Hygienemaßnahmen nach TRBA 500 "Grundlegende Maßnahmen bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen" vernachlässigbar ist [30].

(4) Ist der Infektionsstatus des Probenmaterials bekannt, liegen Biostoffe der Risikogruppe 3, z. B. HIV, HBV oder HCV, vor und sind die Tätigkeiten nicht auf diese ausgerichtet, kann im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung entsprechend der in Abschnitt 3.5.3 genannten Kriterien geprüft werden, ob die Schutzmaßnahmen der Schutzstufe 2 nach Abschnitt 4.3, ggf. mit einzelnen, zusätzlich festzulegenden Schutzmaßnahmen, ausreichend sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Tätigkeiten unter den Bedingungen der Schutzstufe 3 entsprechend Abschnitt 4.4.2 durchzuführen.

(5) Tätigkeiten im Rahmen der Tuberkulosediagnostik ausgehend vom Primärmaterial (Untersuchungsmaterial), z. B. die Probenvorbereitung und Aufbereitung/Vorbehandlung, die mikroskopische Direktuntersuchung zum Nachweis säurefester Stäbchen, die kulturelle Anzucht in flüssigen und auf festen Nährmedien, die Inaktivierung zur Durchführung molekularbiologischer Techniken (Polymerase-Ketten-Reaktion – PCR), können unter den Bedingungen der Schutzstufe 2 durchgeführt werden. Sind die Kulturmedien (kulturelle Anzucht) positiv und handelt es sich bei weiteren Arbeitsschritten um nicht gezielte Tätigkeiten, kann tätigkeitsbezogen entsprechend der in Abschnitt 3.5.3 genannten Kriterien geprüft werden, ob die Schutzmaßnahmen der Schutzstufe 2, ggf. mit einzelnen zusätzlich festzulegenden Schutzmaßnahmen, ausreichend sind. Das ist z. B. der Fall, wenn unmittelbar eine Inaktivierung des entnommenen Probenmaterials oder keine weitere Vermehrung erfolgt. Voraussetzung ist, dass die Beschäftigten sicher vor Bioaerosolexposition geschützt sind. Die weiterführende Diagnostik der in den Anzuchtmedien gewachsenen Mykobakterien der Risikogruppe 3, d. h. die endgültige Differenzierung/Identifizierung mit Hilfe physiologischer Tests oder die phänotypische Empfindlichkeitsprüfung gegenüber Antituberkulotika sind gezielte Tätigkeiten. Diese sind unter den Bedingungen der Schutzstufe 3 entsprechend Abschnitt 4.4.2 durchzuführen.

(6) Tätigkeiten im Rahmen der Milzbranddiagnostik sind der Schutzstufe 2 nach Abschnitt 4.3 zuzuordnen, wenn es sich um orientierende Untersuchungen (Erstdiagnostik) von

  1. Proben menschlichen oder tierischen Ursprungs wie Abstrichen, Blut etc. oder
  2. Umweltproben z. B. Bodenproben, die Milzbranderreger enthalten können, handelt. Für die Untersuchung von Verdachtsproben bei biologischen Gefahrenlagen gilt Anhang 3 der TRBA 130 "Arbeitsschutzmaßnahmen in akuten biologischen Gefahrenlagen" [22].

Zu den orientierenden Untersuchungen gehören die Anfertigung und Beurteilung von mikroskopischen Präparaten, das Anlegen und Beurteilen von Kulturen sowie ggf. serologische und molekularbiologische Untersuchungen unmittelbar am Untersuchungsmaterial. Das Beurteilen von Kulturen kann neben der Erfassung von morphologischen Merkmalen auch die Durchführung von PCR sowie von anderen Methoden (wie z. B. MALDI-TOF-Massenspektrometrie) unter Verwendung von inaktiviertem Bakterienmaterial beinhalten.

Wenn die orientierenden Untersuchungen aus den Primärproben oder den Primärkulturen deutliche Hinweise auf das Vorhandensein von Bacillus anthracis ergeben haben (z. B. positives PCR-Signal zum Nachweis von Virulenzplasmid-DNA, MALDI-TOF mit entsprechender Referenzdatenbank), kann es sich um Milzbranderreger handeln. Die weiterführende Diagnostik, d. h. die endgültige Differenzierung (Ausschluss bzw. Bestätigung von Milzbranderregern) der angereicherten Bakterien mit Hilfe mikrobiologischer, biochemischer und molekularbiologischer Techniken (sofern es sich nicht um inaktiviertes Material handelt) sowie der diagnostische Tierversuch sind in der Schutzstufe 3 nach Abschnitt 4.4.2 durchzuführen.

(7) Für Tätigkeiten mit Material, welches TSE assoziierte Agenzien enthält oder enthalten kann, gilt die Empfehlung des ABAS zu "Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit Transmissibler Spongiformer Enzephalopathie (TSE) assoziierter Agenzien in TSE-Laboratorien" [19].

(8) Laboratorien, in denen Tätigkeiten mit tierischen Probenmaterialien von Vertebraten (Primaten und ggfs. Wildtiere ausgenommen) durchgeführt werden, sind der Schutzstufe 1 nach Abschnitt 4.2 zuzuordnen, sofern die Spendertiere keine Krankheitssymptome zeigen. In der Regel ist dann davon auszugehen, dass eine Infektionsgefährdung durch andere Biostoffe (Krankheitserreger) zwar nicht auszuschließen, aber dennoch unter Beachtung der allgemeinen Hygienemaßnahmen nach TRBA 500 vernachlässigbar ist. Gibt es einen begründeten Verdacht, dass eine Infektion mit einem Zoonose-Erreger vorliegt, so sind mindestens die Schutzmaßnahmen der Schutzstufe 2 nach Abschnitt 4.3 einzuhalten.

(9) Tätigkeiten mit nicht charakterisiertem Material von Primaten sind der Schutzstufe 2 nach Abschnitt 4.3 zuzuordnen. Ist aufgrund der Erkrankung des Spendertiers oder aufgrund anderer Anhaltspunkte mit Biostoffen einer höheren Risikogruppe zu rechnen (z. B. bei Proben von Wildtieren), ist im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung die Schutzstufe im Einzelfall abweichend festzulegen.

(10) Tätigkeiten mit Probenmaterial von Versuchs- und Wildtieren, die bekanntermaßen Träger humanpathogener Biostoffe sind bzw. mit diesen infiziert wurden, sind einer Schutzstufe entsprechend der Risikogruppe des Biostoffes zuzuordnen. Unter Umständen kann hiervon abgewichen werden, wenn im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festgestellt wird, dass sich das Infektionsrisiko maßgeblich verringert hat (siehe TRBA 120 "Versuchstierhaltung", Abschnitt 3.4) [23].

3.6.2 Mikrobiologische Qualitätssicherung/Sterilitätsprüfungen

(1) Laboratorien, in denen Sterilitätsprüfungen, Bestimmungen der Koloniezahl und sonstige Arbeiten zur mikrobiologischen Qualitätssicherung durchgeführt werden, die nicht dem spezifischen Nachweis von Biostoffen der Risikogruppe 2 und höher dienen, können unter Bedingungen der Schutzstufe 1 nach Abschnitt 4.2 durchgeführt werden. Hierzu gehören beispielsweise Proben aus der Herstellung von Lebensmitteln, Medizinprodukten, Arzneimitteln, Biologika oder Kosmetika.

(2) Kommt es im Verlauf der Tätigkeiten zur selektiven Vermehrung oder Anreicherung von Biostoffen der Risikogruppe 2 oder 3, so sind die Tätigkeiten mindestens unter Bedingungen der Schutzstufe 2 nach Abschnitt 4.1 und 4.3 durchzuführen.

(3) Proben aus der Herstellung von Biologika, wie z. B. Plasmaproteine, rekombinante Proteine oder sonstige aus biologischem Material erzeugte Produkte werden hinsichtlich der Kontamination mit Bakterien, Viren und sonstigen Mikroorganismen untersucht. Da diese Zwischen- und Endprodukte aus geprüftem Ausgangsmaterial stammen, können diese Untersuchungen unter Bedingungen der Schutzstufe 1 nach Abschnitt 4.1 und 4.2 durchgeführt werden.

3.6.3 Sonstige mikrobiologische Laboratorien, Umweltuntersuchungslaboratorien

(1) Die überwiegende Mehrzahl von Probenmaterialien aus der Umwelt (Wasser, Boden, Sedimente, Luft etc.) ist in aller Regel als nicht infektiös anzusehen, auch wenn sie in gewissem Umfang Biostoffe der Risikogruppe 2 enthalten können. Aus diesem Grunde können Tätigkeiten mit diesen Materialien im Allgemeinen unter Bedingungen der Schutzstufe 1 nach Abschnitt 4.1 und 4.2 durchgeführt werden. Liegen Verdachtsmomente auf besondere Belastungen der Umwelthabitate durch humanpathogene Biostoffe vor, ist im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festzulegen, ob die Tätigkeiten unter den Bedingungen der Schutzstufe 2 nach Abschnitt 4.1 und 4.3 durchzuführen sind.

(2) Tätigkeiten mit angereicherten mikrobiellen Fraktionen, die z. B. durch spezifische Aufreinigung oder selektive Vermehrung hergestellt wurden, sind unter den Bedingungen der Schutzstufe 2 nach Abschnitt 4.1 und 4.3 durchzuführen, wenn eine Konzentrierung von Biostoffen der Risikogruppe 2 und höher angenommen werden kann. Im Einzelfall ist in der Gefährdungsbeurteilung festzulegen, ob eine höhere Schutzstufe notwendig ist.

(3) Abwasser (Schmutzwasser) und Klärschlamm enthalten humanpathogene Biostoffe, deren Zusammensetzung und Konzentration herkunfts- und prozessbedingt stark variieren können. Vereinzelt stattfindende Tätigkeiten geringen Umfangs, wie z. B. gelegentliche Trübungsmessungen, können unter den Bedingungen der Schutzstufe 1 nach Abschnitt 4.1 und 4.2 durchgeführt werden. Je nach Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung sind umfangreichere Tätigkeiten mit entsprechenden Probenmaterialien, wie z. B. Analytik des Abwassers auf Polioviren, unter den Bedingungen der Schutzstufe 2 nach Abschnitt 4.1 und 4.3 durchzuführen. Der Anhang 1 der TRBA 220 "Abwassertechnische Anlagen: Schutzmaßnahmen" enthält eine Übersicht über im Abwasser vorkommende Biostoffe [24].

(4) In Probenmaterialien aus Abfall, Kompost und Rottegut sind i. d. R. Biostoffe der Risikogruppe 1 und 2 vorhanden.

Kann es während der Untersuchung solcher Proben zur Anreicherung oder Vermehrung von Biostoffen mit infektiöser Wirkung kommen, so sind diese Tätigkeiten im Allgemeinen unter Bedingungen der Schutzstufe 2 nach Abschnitt 4.1 und 4.3 durchzuführen.

(5) Derartige Probenmaterialien enthalten i. d. R. auch Biostoffe mit sensibilisierenden und toxischen Wirkungen (siehe Abschnitt 3.5).

3.7 Ermittlung von Schutzmaßnahmen aufgrund sensibilisierender oder toxischer Wirkungen der Biostoffe

(1) Biostoffe mit sensibilisierenden oder toxischen Wirkungen können insbesondere eine Rolle spielen:

  1. in Forschungslaboratorien mit entsprechenden Untersuchungsschwerpunkten,
  2. in Umweltuntersuchungslaboratorien und
  3. bei der mikrobiologischen Qualitätssicherung, z. B. in der Lebensmittelindustrie.

(2) Besitzen Biostoffe der Risikogruppe 1 sensibilisierende oder toxische Wirkungen, sind zusätzlich zu den allgemeinen Hygienemaßnahmen nach TRBA 500 der Schutzstufe 1 weitere geeignete Schutzmaßnahmen festzulegen. In der Regel handelt es sich um Maßnahmen, die der Minimierung oder Verhinderung des Kontakts zu Biostoffen und/oder der Entstehung von Bioaerosolen dienen, wie z. B. die Nutzung einer MSW (siehe Abschnitt 4.2.2).

(3) In der Schutzstufe 2 und 3 kann davon ausgegangen werden, dass durch die Umsetzung der geforderten baulichen, technischen und organisatorischen Maßnahmen das Freiwerden von Biostoffen mit sensibilisierenden oder toxischen Wirkungen ausreichend minimiert wird.

(4) Da nach erfolgter Inaktivierung von Biostoffen mit sensibilisierenden oder toxischen Wirkungen das sensibilisierende oder toxische Potenzial erhalten bleiben kann, sind deshalb im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung auch nach der Inaktivierung dieser Biostoffe die entsprechenden Schutzmaßnahmen umzusetzen.

3.8 Unterrichtungs-, Erlaubnis- und Anzeigepflichten

(1) Bevor Tätigkeiten ab Schutzstufe 3 in Laboratorien erstmals aufgenommen werden, ist eine Erlaubnis nach § 15 BioStoffV durch die zuständige Behörde erforderlich. Tätigkeiten mit Biostoffen der Risikogruppe 3(**) bedürfen einer Anzeige [1].

(2) Des Weiteren können für verschiedene Tätigkeiten Anzeigepflichten entsprechend § 16 BioStoffV bestehen. Anzeigepflichten gelten u. a. auch für gezielte Tätigkeiten der Schutzstufe 2 [1].

(3) Unterrichtungspflicht gegenüber der Behörde besteht gemäß § 17 Absatz 1 BioStoffV bei Krankheits- und Todesfällen bei Tätigkeiten mit Biostoffen jeder Risikogruppe und bei Unfällen und Betriebsstörungen bei Tätigkeiten mit Biostoffen der Risikogruppen 3(**), 3 und 4 [1].