6 Gefährdungen durch Niederschlag – Beurteilung und Maßnahmen

(1) Gefährdungen, welche von Niederschlag in den verschiedenen Formen (z. B. als Regen, Schnee, Graupel oder Glatteis) hinsichtlich erhöhter Unfallrisiken durch eingeschränkte Sicht, Glätte und Rutschgefahr ausgehen, sind zu vermeiden. Darüber hinaus sind Gefährdungen mit Verletzungsfolgen aufgrund von mechanischen Einwirkungen von Niederschlag auf den menschlichen Körper, Arbeitsmittel, Gebäude und Umgebung zu vermeiden. Die Gefährdungen hängen von der Form, Intensität und der Dauer des Niederschlags ab.

Hinweis:
Die Niederschlagsform Hagel wird im Abschnitt 8 "Gefährdungen durch Gewitter und Blitzschlag" mit behandelt.

(2) Bei Gefährdungen durch Niederschlag ist zu beachten, dass diese teilweise durch gleichzeitige Einwirkung anderer Witterungseinflüsse entstehen, wie Rutschgefahr durch gefrierenden Regen bei Kälte oder im Zusammenhang mit natürlicher UV-Strahlung durch erhöhte Reflexion bei einer geschlossenen Schneedecke. Die Auswirkungen reduzierter Wärmeisolation der Bekleidung durch Durchfeuchtung bei Arbeit in Kälte sind zu berücksichtigen.

Hinweis:
Informationen zu Arbeit in Kälte und Maßnahmen enthält die "Empfehlung des Ausschusses für Arbeitsstätten (ASTA) zur Beurteilung der Gefährdungen durch Kälte und Maßnahmen an Arbeitsplätzen in nicht allseits umschlossenen Arbeitsstätten und an Arbeitsplätzen im Freien".

(3) Außergewöhnliche sekundäre Gefährdungen, die von Niederschlag ausgehen, wie Unterspülung, Hochwasser und Lawinen, sind nicht Gegenstand dieser ASR.

(4) Nach dem Auftreten von starkem Schneefall ist mit Folgegefährdungen zu rechnen, z. B. durch umsturzgefährdete oder abgebrochene Bäume oder Äste.

Hinweis:
Anforderungen an die Freihaltung von Verkehrswegen nach Niederschlagsereignissen, z. B. Schneefall, sind in der ASR A1.8 "Verkehrswege" enthalten.

6.1 Beurteilungsmaßstäbe für Gefährdungen durch Niederschlag

(1) Die Beurteilung der Gefährdungen durch Niederschlag sind bezogen auf die Tätigkeit und den jeweiligen Arbeitsplatz durchzuführen.

(2) Niederschlag ist in der Regel sichtbar und spürbar, weshalb Gefährdungen durch Niederschlag nach dieser ASR auf der Grundlage von qualitativen Kriterien zu beurteilen sind. Dabei ist das im Abschnitt 6.2 beschriebene Verfahren der Kategorisierung von Regen, Schnee und Glätte/Glatteis in 3 Intensitätsstufen (A, B und C) gemäß Tabelle 1 anzuwenden.

(3) Zur Information, für die Arbeitsorganisation und für die Einsatzplanung darf auch auf das Warnstufensystem des Deutschen Wetterdienstes (DWD) zur orientierenden Ermittlung der zu erwartenden Intensitätsstufen zurückgegriffen werden.

Hinweise:
1. Die Angaben zu den DWD-Warnstufen basieren in einer Region auf der nächstgelegenen lokalen Wetterstation des DWD. Daher kann es zu Abweichungen zwischen den Vorhersagen des DWD und den tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten kommen.
2. Diese Warnstufen des DWD werden in den Tabellen 1 und 2 den hier verwendeten Intensitätsstufen zum Vergleich gegenübergestellt und Anhaltspunkte zur Beurteilung gegeben.

6.2 Verfahren zur Beurteilung von Gefährdungen durch Niederschlag

(1) Zur Beurteilung der Gefährdungen durch Niederschlag ist zunächst auf die in Tabelle 1 genannten Intensitätsstufen zurückzugreifen. Die örtlichen Gegebenheiten sind zur Festlegung der Intensitätsstufen entscheidend. Zur weitergehenden Ermittlung der Gefährdungen und zur besseren lokalen Auflösung sind Beobachtungen der Beschäftigten vor Ort heranzuziehen und mit den Beurteilungsmaßstäben für Regen und Schnee sowie für Glätte und Glatteis nach Tabelle 2 zu bewerten.

Tab. 1: Intensitätsstufen für Niederschlag mit Beschreibung und Handlungsanweisungen

Intensitäts­stufe Beschreibung Handlungsanweisungen
A
keine amtliche Warnung
Die Witterungsbedingungen sind nicht ungewöhnlich. Gefährdungen sind nicht zu erwarten, sofern Bekleidung, Ausrüstung und Verhalten den zu erwartenden Bedingungen am jeweiligen Arbeitsplatz entsprechen. Ungeachtet einer geringen Gefährdung durch Niederschlagsereignisse ist witterungsangepasste Kleidung zu verwenden. Die Wetterentwicklung ist zu verfolgen und bei der Arbeitsplanung nach Möglichkeit zu berücksichtigen.
B
DWD-Warnstufe 1 bis 2
Die erwartete Witterungsbedingung ist nicht ungewöhnlich, aber potenziell gefährdend. Es können vereinzelt oder örtlich Schäden auftreten. Die Wetterentwicklung ist regelmäßig zu verfolgen und die Beschäftigten sind über zu erwartende Verschlechterungen der Lage zu informieren. Durchnässte Kleidung soll gewechselt und in Ruhepausen oder bei Tätigkeitsunterbrechungen getrocknet werden können.
C
DWD-Warnstufe 3 bis 4
Die erwartete Wetterentwicklung ist sehr bis extrem gefährlich und in der Regel mit einer amtlichen Unwetterwarnung verbunden. Es können Lebensgefahr, verbreitet Schäden und Zerstörung auftreten. Sofern die Auswirkungen der bei dieser Intensitätsstufe vorliegenden Gefährdungen nicht durch technische oder organisatorische Maßnahmen reduziert werden können, sind Aufenthalte und Tätigkeiten im Freien einzustellen. Sofern möglich sind für den Zeitraum der Einwirkung der Niederschläge Tätigkeiten durchzuführen, bei denen die Beschäftigten dem Wetter nicht direkt ausgesetzt sind.

(2) Bei Sichtbeeinträchtigungen ist abzuschätzen, ob die notwendige Sichtweite im Rahmen der Arbeitssituation zum jeweiligen Zeitpunkt noch gegeben ist.

(3) Genauere Verfahren zur Abschätzung der Gefährdungen durch Niederschläge, basierend z. B. auf den Daten einer vor Ort betriebenen Wetterstation, dürfen zur Beurteilung ebenfalls herangezogen werden.

(4) Die Intensitätsstufen zur Beurteilung der Gefährdung durch Regen, Schnee, Glätte und Glatteis sind der Tabelle 2 zu entnehmen.

Tab. 2: Kategorisierung der Intensität von Regen, Schnee, Glätte und Glatteis

Intensitäts­stufe Regen Schnee Glätte und Glatteis
A
keine amtliche Warnung
Niesel- oder Landregen, Pfützenbildung in Senken wenige Flocken, kaum Sichteinschränkungen trockene Oberflächen bzw. keine überfrierende Nässe oder Reifablagerung
B
DWD-Warnstufe 1 bis 2
Wasserschicht auf Straßen Sicht durch Schneefall oder Schneetreiben eingeschränkt überfrierende Nässe, Reifablagerung oder kurzzeitige kleinräumige Glatteisbildung
C
DWD-Warnstufe 3 bis 4
Überschwemmungen, Sturzbäche keine Sicht mehr durch Schneefall oder Schneetreiben verbreitet Glatteisbildung am Boden oder an Gegenständen

(5) Handlungsanweisungen zu technischen, organisatorischen und personenbezogenen Maßnahmen bei Niederschlag sind in Abhängigkeit der 3 Intensitätsstufen in Tabelle 1 Spalte 3 festgelegt.

6.3 Maßnahmen gegen Gefährdungen durch Niederschlag

(1) Maßnahmen gegen Gefährdungen, die von Niederschlägen ausgehen, sind als sachgerechte Verknüpfung der in den Abschnitten 6.3.1 bis 6.3.3 für Rutschgefahr, Sichteinschränkungen und mechanische Einwirkungen beispielhaft benannten technischen, organisatorischen und personenbezogenen Maßnahmen festzulegen und umzusetzen.

(2) Bei der Festlegung der Maßnahmen ist die Dauer der Tätigkeit sowie die Ortsgebundenheit oder Ortsveränderlichkeit der Tätigkeit zu berücksichtigen.

6.3.1 Maßnahmen gegen Rutschgefahr

(1) Bei der Auswahl der Maßnahmen sind die Einflussmöglichkeiten des Arbeitgebers auf die dauerhafte Gestaltung der Arbeitsplatzumgebung (technisch oder organisatorisch) zu berücksichtigen. Insbesondere auf dem eigenen Betriebsgelände sind gemäß Maßnahmenhierarchie (TOP-Prinzip) technische Maßnahmen bevorzugt umzusetzen, um eine dauerhafte Reduzierung gefährdender Einflüsse zu erreichen.

(2) Technische Maßnahmen gegen Rutschgefahr sind z. B.:

  1. das Anbringen ausreichend großer Überdachungen vor Gebäudeeingängen,
  2. das Einrichten der Gebäudeeingänge derart, dass der Eintrag von Schmutz und Nässe nicht zu Rutschgefahren führt,
  3. die Nutzung einer Taumittelsprühanlage gegen Glatteisbildung,
  4. die Bereitstellung und Nutzung von Materialien für abstumpfende oder aufrauende Behandlung der Oberflächen (Wege), z. B. Sand, Rollsplit, Sägespäne, und
  5. das zusätzliche Kennzeichnen von Gefahrenstellen.

(3) Organisatorische Maßnahmen gegen Rutschgefahr sind z. B.:

  1. die Verlagerung des Ortes der Tätigkeit,
  2. die zeitliche Verschiebung der Tätigkeit,
  3. die Unterbrechung der Tätigkeit und
  4. das Betreiben eines wirksamen Reinigungs- und Winterdienstes; Fußböden in Außenbereichen, zu denen Beschäftigte im Rahmen ihrer Arbeit Zugang haben, müssen so gereinigt, geräumt oder gestreut werden, dass sich keine zusätzlichen Stolper- oder Rutschgefahren ergeben.

(4) Personenbezogene Maßnahmen gegen Rutschgefahr sind z. B.:

  1. die Nutzung von an die Witterung angepasster (Arbeits-)Kleidung und persönlichen Schutzausrüstungen, insbesondere von geeignetem Schuhwerk (z. B. mit stark profilierter und rutschhemmender Sohle, ggf. Schuhspikes und Überzieher), und
  2. bei kurzzeitiger oder kleinräumiger Glätte sowie bei unvermeidbaren Tätigkeiten bei Glätte die Nutzung von Spikes oder Schuhketten, ggf. zusätzliches Tragen eines geeigneten Kopfschutzes.

6.3.2 Maßnahmen bei Sichteinschränkungen

(1) Sichteinschränkungen ergeben sich sowohl durch die direkte Einwirkung des Wetters, wie durch Regen, Schneefall oder Nebel, als auch durch Blendungen (geschlossene Schneedecke), Spiegelungen (Reflektionen in Wasserflächen) oder Flimmern (Eisnadeln, Diamantstaub, Polarschnee). Bei gemeinsamem Auftreten von Regen oder Schneefall mit Wind können sich die Sichteinschränkungen zusätzlich verstärken.

(2) Technische und organisatorische Maßnahmen bei Sichteinschränkungen dienen der Vermeidung von Unfällen und gefährlicher Alleinarbeit und sind in Abhängigkeit von der Arbeitssituation und dem Wetter z. B.:

  1. bei zu erwartenden Sichteinschränkungen Alleinarbeit vermeiden, z. B. mittels gegenseitiger Absicherung durch eine direkte Begleitperson,
  2. bei erforderlicher Alleinarbeit unter Sichteinschränkungen die Sicherheit erhöhen, z. B. durch
    a) die Durchführung von Kontrollgängen in kürzeren Abständen,
    b) die Einrichtung eines zeitlich abgestimmten Meldesystems (z. B. in zeitlichen Abständen zu wiederholender Anruf, Kenntnis des Vorgesetzten über Aufenthaltsorte der Beschäftigten) oder
    c) die Verwendung zusätzlicher akustischer oder Licht- Signalgeber, und
  3. gefährliche Alleinarbeit über den Zeitraum der vorliegenden Sichteinschränkungen einstellen, wenn eine Sichtverbindung zu anderen Personen nicht mehr gegeben ist und Maßnahmen nach Nummer 2 nicht umsetzbar sind.

(3) Personenbezogene Maßnahmen bei Sichteinschränkungen sind in Abhängigkeit von der Arbeitssituation und dem Wetter z. B.:

  1. das Tragen von Reflektoren, Leuchtbändern und
  2. das Tragen geeigneter Warnkleidung.

6.3.3 Maßnahmen gegen mechanische Einwirkungen

(1) Mechanische Einwirkungen ergeben sich z. B. durch von Gebäuden oder Bäumen herabfallende Eiszapfen, Eiskörner und Dachlawinen. Auch verdeckte Gefahren können auftreten, z. B. bei Schneedecke über nicht betretbaren Dachteilen (nicht durchtrittssichere Lichtkuppeln oder Lichtbänder). Durch die Wechselwirkung von Feuchte mit Temperaturen unter dem Gefrierpunkt ist ein Festfrieren von unbedeckten Körperpartien, z. B. Händen, beim Berühren metallischer Gegenstände, z. B. Aluminiumschneeschaufel oder Außentürklinke, möglich.

(2) Technische Maßnahmen gegen mechanische Einwirkungen sind z. B. das Entfernen von Eiszapfen und Dachlawinen über Verkehrswegen und allen Bereichen, in denen sich Beschäftigte im Rahmen ihrer Arbeit aufhalten. Ist dies nicht ohne Eigengefährdung möglich, sind betreffende Bereiche weiträumig abzusperren und zusätzlich auf die Gefahren hinzuweisen. Zur Durchführung technischer Maßnahmen ist ausreichend Zeit zur Verfügung zu stellen.

(3) Organisatorische Maßnahmen gegen mechanische Einwirkungen sind z. B.:

  1. das Unterbrechen der Tätigkeiten oder
  2. nach Möglichkeit die zeitliche oder räumliche Verlagerung der Tätigkeiten.

(4) Personenbezogene Maßnahmen gegen mechanische Einwirkungen sind z. B.:

  1. beim Auftreten von Eiskörnern/Graupel das Tragen von Schutzbrillen oder Kopfbedeckungen mit Schild oder einem Helmschild und

    Hinweis:
    Eiskörner und Graupel können Einschränkungen der Wahrnehmungsfähigkeit durch den unbeabsichtigten Lidschluss des Auges bedingen. Durch einen entsprechenden Schutz der Augen lässt sich die Sicherheit erhöhen.
  2. das Tragen persönlicher Schutzausrüstungen, insbesondere Schutzhelm sowie Schutzhandschuhe, gegebenenfalls einschließlich Kälteschutz.