7 Besondere Regeln aufgrund der Antriebsenergie
7.1 Arbeiten an Fahrzeugen mit Energiespeichern
Werden Arbeiten an Fahrzeugen mit aktiven Energiespeichern durchgeführt, muss verhindert werden, dass durch die gespeicherte Energie eine Gefährdung entsteht.
Das kann dadurch umgesetzt werden, dass der Energiespeicher entleert oder die Freisetzung von Energie sicher verhindert wird.
Druckspeicher sind für Arbeiten am Drucksystem zu entspannen oder abzusperren.
Kondensatoren sind nach Herstellervorgaben zu entladen. Gegebenenfalls ist dafür eine Wartezeit einzuhalten (Entladezeit). Anschließend ist zu prüfen, ob keine elektrische Gefährdung mehr vorliegt.
In neueren Schienenfahrzeugen übliche Schutzmaßnahmen sind zum Beispiel Schlüsselkaskaden oder elektromagnetische Verriegelungen der Zugänge zu den Kondensatoren, die ein Öffnen erst bei einer Restspannung von unter 60 V zulassen.
Für Schienenfahrzeuge siehe auch DIN EN 50153 "Bahnanwendungen – Fahrzeuge – Schutzmaßnahmen in Bezug auf elektrische Gefahren".
7.2 Elektrotechnische Arbeiten an Fahrzeugsystemen
Elektrotechnische Arbeiten an Fahrzeugsystemen dürfen nur von fachkundigen und dafür qualifizierten Personen ausgeführt werden.
Elektrotechnische Arbeiten an Fahrzeugsystemen können grundsätzlich in drei Kategorien eingeteilt werden, die sich in den erforderlichen personellen Qualifikationen unterscheiden:
- Elektrotechnische Arbeiten an konventionellen Bordnetzen bis 30 V AC/60 V DC (z. B. das Messen elektrischer Größen und das Arbeiten an elektrischen Aggregaten und Systemen) dürfen nur von fachkundigen Personen durchgeführt werden, zum Beispiel Personen mit einer erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung in der Kfz-Technik.
- Arbeiten an Fahrzeugen mit HV-Systemen oder deren Komponenten > 30 V AC/> 60 V DC im Sinne der DGUV Information 209-093 sind alle elektrotechnischen oder nichtelektrotechnischen Tätigkeiten an Fahrzeugen oder HV-Komponenten, bei denen die Möglichkeit einer elektrischen Gefährdung besteht. Diese Arbeiten dürfen nur von fachkundigen Personen für Arbeiten an Hochvoltsystemen oder von fachkundig unterwiesenen Personen unter Aufsicht und Leitung einer fachkundigen Person für Arbeiten an Hochvoltsystemen durchgeführt werden.
- Elektrotechnische Arbeiten an elektrischen Betriebsmitteln in Kraftfahrzeugen, wie An- und Aufbaugeräte im Sinne der Maschinenrichtlinie, dürfen nach DGUV Vorschriften 3 und 4 nur von Personen durchgeführt werden, die aufgrund ihrer fachlichen Ausbildung, Kenntnisse und Erfahrungen sowie der Kenntnis der einschlägigen Bestimmungen die ihnen übertragenen Arbeiten beurteilen und mögliche Gefahren erkennen können, zum Beispiel eine Elektrofachkraft.
7.3 Prüfarbeiten unter Spannung an elektrischen Systemen
7.3.1 Bei der Prüfung von Fahrzeugen unter Spannung muss die Unternehmerin oder der Unternehmer zum Schutz der Versicherten besondere Maßnahmen treffen.
Besondere Maßnahmen sind z. B.:
- Einrichtung besonderer Arbeitsbereiche
- Schutz durch Abstand
- Befehlseinrichtungen zum Ausschalten im Notfall
- Signalisierung des Schaltzustands
- Verwendung geeigneter PSA
Siehe auch DIN EN 50191 VDE 0104 "Errichten und Betreiben elektrischer Prüfanlagen".
7.3.2 Werden Prüfarbeiten an Schienenfahrzeugen auf Dachebene unter Spannung vorgenommen, ist durch besondere Maßnahmen nach Punkt 7.3.1 sicherzustellen, dass auf dem Dach arbeitende Versicherte nicht durch das direkte Berühren aktiver Teile der Fahrleitung oder des Stromabnehmers oder durch Annäherung daran gefährdet werden.
Das wird dadurch erreicht, dass die Fahrleitungsanlage nach Punkt 8.1 ausgeführt wurde oder die Prüfspannung über eine gesonderte Einspeiseleitung angelegt wird. Sofern in unmittelbarer Nähe zum Beispiel des Stromabnehmers Prüfarbeiten durchgeführt werden müssen, ist durch Abdecken ein Berühren aktiver Teile zu verhindern.
7.3.3 Arbeiten an unter Spannung stehenden HV-Systemen sind nur im begründeten Ausnahmefall zulässig. Die ausführende Person muss für diese Arbeiten besonders qualifiziert sein. Es sind besondere Maßnahmen zu treffen.
Arbeiten an unter Spannung stehenden Hochvoltsystemen sind alle Arbeiten, bei denen ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin mit Körperteilen oder Gegenständen (Werkzeuge, Geräte, Ausrüstungen oder Vorrichtungen) HV-Komponenten oder Teile berühren kann, wenn der spannungsfreie Zustand nicht sichergestellt ist und eine elektrische Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann.
Besondere Maßnahmen sind zum Beispiel:
- Absicherung des Arbeitsbereichs
- Verwendung geeigneter PSA
- Kennzeichnung "unter Spannung stehende Systeme" am Arbeitsbereich
- Absicherung durch eine zweite, mindestens fachkundig unterwiesene Person, die in der Ersthilfe ausgebildet ist
Zur Qualifizierung für Arbeiten an unter Spannung stehenden HV-Systemen siehe DGUV Information 209-093 "Qualifizierung für Arbeiten an Fahrzeugen mit Hochvoltsystemen".
7.4 Arbeiten an Fahrzeugen mit Gasantrieb
7.4.1 Bevor Fahrzeuge mit Gasantriebssystemen in den Werkstattbereich eingebracht werden, ist zu prüfen, ob mit einem Gasaustritt gerechnet werden muss.
7.4.2 Ist ein betriebsmäßiger Gasaustritt möglich, sind Maßnahmen zur sicheren Ableitung des Gases entsprechend den Vorgaben des Fahrzeugherstellers oder -umrüsters zu treffen.
Bei längeren Standzeiten von Fahrzeugen mit Kryo-Tanksystemen kommt es zu einem betriebsmäßigen Gasaustritt, dem Boil-Off-Gas. Tiefgekühltes Gas, z. B. tiefkaltes verflüssigtes Erdgas/Methan (LNG, Liquefied Natural Gas) und tiefkalt verflüssigter Wasserstoff (LH2, Liquid Hydrogen) wechselt nach einem gewissen Zeitraum unter schwer kalkulierbaren Umständen seinen Aggregatszustand von der Flüssig- in die Gasphase, wodurch der Tankinnendruck ansteigt und es konstruktionsbedingt bei einem bestimmten Druck zu einem "Boil-Off" (kontrolliertes Abblasen von Gas) kommt. Den weiteren Umgang mit dem abgeblasenen Gas beschreibt ein Boil-Off-Management.
Das Boil-Off-Management für Fahrzeuge mit Kryo-Tanksystemen ist in Gebäuden unabhängig von den Maßnahmen des Brand- und Explosionsschutzes während der Instandhaltung von Gasfahrzeugen zu betrachten.
Eine Maßnahme zur sicheren Ableitung des Gases ist das Anschließen des Fahrzeugs an eine Abblasvorrichtung, mit der das Boil-Off-Gas über Dach abgeführt wird. Neben anderen sicheren Lösungen wird eine Abblasvorrichtung über Dach als Stand der Technik kommuniziert.
Siehe auch "Arbeitsschutz und Ausstattung für die Wartung und Instandsetzung von Fahrzeugen mit LNG-Antrieb – Leitfaden für Kfz-Werkstätten" Akademie des Deutschen Kraftfahrzeuggewerbes GmbH (TAK).
7.4.3 Gasaustritt im Zuge der Fahrzeuginstandhaltung ist zu vermeiden.
An Fahrzeugen mit Gassystemen müssen die Entnahmeventile vor Beginn der Instandhaltungsarbeiten geschlossen sein. Zusätzlich sind die Entnahmeleitungen von Fahrzeugen mit Gassystemen durch Betreiben des Motors nach dem Schließen der Entnahmeventile im Gasbetrieb zu entleeren.
Die Entnahmeleitungen sind ausreichend geleert, wenn der Motor von selbst stehen bleibt.
7.4.4 Werden Arbeiten an Gasantriebssystemen durchgeführt, bei denen kontrolliert Gas austreten kann (z. B. geringe Restmengen aus Leitungen), sind Maßnahmen gegen Brand und Explosionsgefahren zu treffen. Dabei sind die physikalischen Eigenschaften und die Speicherform des Gases zu beachten (z. B. Dichte, Druck, Temperatur). Die Bildung einer gefährlichen explosionsfähigen Atmosphäre ist zu verhindern. Es muss mindestens ein 3-facher Luftwechsel (Luftwechselrate ≥ 3/h) durch technische oder natürliche Lüftung gewährleistet werden.
Maßnahmen gegen Brand- und Explosionsgefahren sind zum Beispiel das vorherige Entspannen des Gases aus dem Gastank und das Fernhalten von wirksamen Zündquellen.
Liegen keine Hinweise auf eine Leckage am Gassystem vor, kann das Fahrzeug wie ein konventionelles Fahrzeug an einem normalen Arbeitsplatz behandelt werden, sofern:
- keine Reparaturen am Gassystem durchgeführt werden oder
- die Entnahmeventile geschlossen und die Entnahmeleitungen restlos geleert sind und die Gasbehälter keine Temperaturen von mehr als 60 °C annehmen können.
Aufgrund der heute zur Verfügung stehenden Technik werden in Kraftfahrzeugen folgende Gasarten für den Antrieb verwendet:
- Erdgas (CNG, LNG)
- Flüssiggas (LPG)
- Wasserstoff (LH2, CGH2)
Siehe auch Tabelle 1, Eigenschaften von Antriebsgasen in verschiedenen Speicherarten der Fachbereich Aktuell FBHM-099 "Gasantriebssysteme in
Fahrzeugen – Qualifizierung für Arbeiten an Fahrzeugen mit Gasantrieb".
7.4.5 Das Entleeren/Entspannen von Gastanks darf nicht in geschlossenen Räumen erfolgen. Dazu sind die in Punkt 13.8 beschriebenen Schutzmaßnahmen anzuwenden.
7.4.6 Bei Arbeiten, bei denen unter Druck stehendes Gas austreten kann (z. B. Öffnen des Entleerungsventils, Öffnen von Gasleitungen, …) ist geeignete persönliche Schutzausrüstung zu benutzen.
Die Expansion unter Druck stehender Gase verursacht einen Temperaturabfall und kann zu Erfrierungen führen. Geeignete persönliche Schutzausrüstungen können zum Beispiel Schutzhandschuhe aus Leder und eine Korbschutzbrille sein. Je nach Anwendungsfall (verwendetes Gas, Höhe des Drucks, …) sind weitere Maßnahmen erforderlich.
7.4.7 Das Aufspüren von Undichtigkeiten an Gasantriebsystemen darf nur so erfolgen, dass eventuell ausströmendes Gas nicht gezündet werden kann.
Die Herstellervorgaben zur Vorgehensweise bei der Lecksuche an Gassystemen sind zu beachten.
Ein Ausströmen von Gas während der Lecksuche ist durch das temporäre Schließen der Tankventile auf ein Minimum zu reduzieren.
Geeignet für die Prüfung des Gassystems sind bis zu einem Gasdruck von 20 bar zum Beispiel Lecksuchsprays, die durch Schaumbildung Undichtigkeiten anzeigen, oder Lecksuchgeräte als Gasmess- und Warngeräte, die auch Gaskonzentrationen weit unterhalb der unteren Explosionsgrenze messen können.
7.5 Prüfung von Fahrzeugen mit Gasantrieben
Nach jeder Arbeit am gasführenden System von Fahrzeugen mit Gasantrieb ist das System von einer dafür verantwortlichen Person (entsprechend StVZO) auf Dichtheit zu prüfen. Dabei sind die Vorgaben unter Punkt 7.4.2 zu beachten.
Bei Gasaustritt sind die Entnahmeventile am Tank sofort zu schließen und das Gassystem ist sicher zu entleeren (siehe auch Punkt 7.4.1),
Siehe auch Praxisratgeber "Arbeitssicherheit und Gasfahrzeuge" (TAK).
7.6 Einrichtungen zur Vermeidung von elektrischen Funken/Lichtbögen bei Starterbatterien
Es dürfen nur Batterieladeeinrichtungen, Starthilfegeräte und elektrische Messgeräte zum Messen des Ladezustands verwendet werden, die Einrichtungen zum Vermeiden elektrischer Funken oder Lichtbögen beim An- oder Abklemmen der Anschlussleitungen besitzen.
7.7 Umgang mit Unfallfahrzeugen mit alternativen Antrieben
Der Zustand von Unfallfahrzeugen muss von einer fachkundigen Person festgestellt und die weitere Vorgehensweise entsprechend dem Ergebnis festgelegt werden. Unsichere Fahrzeuge sind an einem sicheren Platz außerhalb von Gebäuden vor unbefugtem Zugriff gesichert abzustellen.
Die Fahrzeuge sind zu kennzeichnen und so zu sichern, dass keine Gefährdungen von ihnen ausgehen.
Es sind geeignete Löschmittel vorzuhalten.
Bei einem Stellplatz für verunfallte Fahrzeuge mit Energiespeichern oder Gassystemen ist ausreichend Abstand zu anderen Fahrzeugen, Gebäuden, brennbaren Gegenständen und brennbaren Untergründen einzuhalten.
Betriebe, die Unfallfahrzeuge oder beschädigte Fahrzeuge mit alternativen Antrieben handhaben, müssen entsprechende Plätze mit den oben genannten Eigenschaften vorhalten (in der Praxis auch als Havarie- oder Quarantäneplätze bezeichnet).
7.8 Umgang mit Hochvolt-Energiespeichern
7.8.1 Die Unternehmerin oder der Unternehmer hat im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung geeignete Maßnahmen für den Umgang mit Hochvolt-Energiespeichern festzulegen.
Vorgaben und Hilfestellungen geben dazu der jeweilige Fahrzeughersteller/Importeur, Sicherheitsdatenblätter und Informationen der Sachversicherungsgesellschaften.
Besonders die nachfolgenden Punkte sollten beim Abstellen von Energiespeichern beachtet werden:
- Die Vorgaben der jeweiligen Fahrzeughersteller/Importeure und der Sicherheitsdatenblätter müssen eingehalten werden.
- Unter Spannung stehende Bauteile (z. B. Zellenmodule, Stromschienen) des geöffneten und abgestellten Energiespeichers sind gegen direkte Berührung zu sichern oder abzuschranken.
- Bei geschlossenem abgestelltem Energiespeicher sind Leitungen und Anschlüsse mit Abdeckkappen zu sichern.
- Der abgestellte Energiespeicher ist durch entsprechende Warnschilder zu kennzeichnen.
- Energiespeicher müssen immer mit geschlossenem Gehäuse transportiert werden.
- Hochvolt-Energiespeicher dürfen nicht dauerhaft hohen Temperaturen oder Wärmequellen ausgesetzt werden.
- Kriterien, um den Zustand eines Energiespeichers (defekt/unklar/OK) zu bestimmen, müssen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung unter Einbeziehung der Herstellervorgaben definiert werden.
- Es sind geeignete Löschmittel vorzuhalten.
7.8.2 Beschädigte Energiespeicher, Energiespeicher mit unklarem Zustand und entsprechende Fahrzeuge dürfen aufgrund einer möglichen Selbstentzündung nur in geeigneten Behältnissen transportiert werden. Die Vorgaben der Hersteller sind dabei mit einzubeziehen.
7.8.3 Beschädigte Energiespeicher sind aus Brandschutzgründen in einem abgesperrten Bereich auf einem Abstellplatz im Freien mit ausreichenden Abständen zu anderen Fahrzeugen, Gebäuden, brennbaren Gegenständen und brennbaren Untergründen abzustellen.
7.8.4 Beschädigte Energiespeicher sind entsprechend zu sichern und zu kennzeichnen.
7.9 Abstellen und Lagern von Gastanks
Ausgebaute und nicht inertisierte Gastanks dürfen nur in dafür geeigneten Bereichen abgestellt/gelagert werden und müssen deutlich gekennzeichnet sein.
Ein geeigneter Lager-/Abstellbereich ist:
Im Freien, gut belüftet, zum Beispiel mit engem Maschengeflecht vor unbefugtem Zugriff gesichert und als Lagerplatz für Gasbehälter gekennzeichnet.
Eine deutliche Kennzeichnung der Gasbehälter bedeutet:
Anbringen eines Aufklebers oder Anhängelabels mit Füllstand/Druck, Medium, Fahrzeugkennzeichen oder Fahrzeugidentifikationsnummer und Zustand der Gasbehälter.
Bei einem Abstellbereich für Wasserstoff-, CNG/LNG-Behälter muss eventuell austretendes Gas ungehindert nach oben abströmen können.
Bei der Lagerung von LPG-Behältern ist sicherzustellen, dass sich im Radius von 10 m keine Senken, Gruben, Kanäle, Keller oder andere tiefer gelegene Räume befinden.
Neue, ungefüllte oder inertisierte Gasbehälter dürfen auch im Gebäude gelagert werden.